Nr. 45 – Analphabet in einer digitalen Welt

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Mit 8 konnten Sie gut lesen, mit 15 Gelesenes sinnvoll erfassen, mit 20 Ihre Gedanken vernünftig zu Papier bringen. Das ermöglichten Ihnen die Kulturtechniken LESEN und SCHREIBEN.

Ein Analphabet kann das nicht. Nicht weil er dumm ist. Er hat es einfach nicht gelernt. Und jetzt stellen Sie sich alles vor, was Sie nicht hätten bewältigen, nicht hätten erreichen, an dem Sie nicht hätten teilnehmen können, von dem Sie ausgeschlossen worden wären – wegen Ihrer mehr oder minder großen Mängel in zentralsten Funktionen menschlicher Kommunikation, die man nicht nur täglich ganz selbstverständlich nützt, sondern z.B. ebenso für den Umgang mit Behörden zwingend braucht.
Zugegeben, man hört nie, dass Menschen, die des Lesens und Schreibens unkundig sind, deswegen ihr Leben nicht führen können. Sie haben einen Job, der sie diesbezüglich möglichst nicht in Schwierigkeiten bringt, manche leiten sogar ihr kleines Unternehmen. Sie bringen sich durch. Zur Zeit Gutenbergs und seiner neuen Druckmaschine gab es viele, die mit diesem Manko lebten. Karrierefördernd war es schon damals nicht.

Mit meinen digitalen Fähigkeiten geht es mir so ähnlich.

Die nebenher gestellte Frage „Geben Sie mir Ihre Mailadresse?“ ist kein Problem für mich. Klarerweise besitze ich einen Laptop und bin im Internet. Den Digi-Rest erledigt mein Handy. Der Rechner hat sich bisher als Schreibmaschine bewährt und Excel stellt meine Tabellen zusammen. Ich weiß in Wirklichkeit nicht, wie das Ding funktioniert.
Dass mich Banken, Versicherungen, Stromlieferanten etc., aber auch Behörden in ein unpersönliches Digitalsystem zwingen, nervt mich. Ich will Kontakt zu Menschen haben, nicht zu einer übermächtigen Maschinerie.

So tümple ich also dahin am Rande des digitalen Analphabetentums. Für die totale digitale Herausforderung reicht das nicht.

Am 19.2. schrieb Stefan Thurner, Prof. für die Wissenschaft komplexer Systeme an der MedUni Wien, in einem bemerkenswerten Artikel in der Tageszeitung DIEPRESSE:

„Digitaler Analphabetismus grenzt aus, genauso wie analoger. Schon jetzt fühlen sich viele nicht mehr „abgeholt“.

Und weiter, dass in Bälde die digitale Welt die reale Welt sein wird. Die herrschenden Gesetzmäßigkeiten werden im globalen Umfang nur mehr diesem Prinzip folgen, weil es niemandem, keiner Wirtschaft, keiner Gesellschaft, keinem Staat und keinem Individuum gelingen wird, sich dieser Entwicklung zu entziehen.

Was sind die Konsequenzen? Schon der Kampf gegen den Klimawandel ist ein globaler und digitaler.
Wissenschaft und Forschung, Technik, Künstliche Intelligenz, Medizin, Kommunikation, Militär, Weltwirtschaft, Nahrungsmittelerzeugung ……..?
Die Digitalisierung wird sich von einer Technik zu einer Haltung, zu einem Lebensstil entwickeln. Das mag einem gefallen oder nicht.

Wie gut wird Europa Schritt halten können?

Wenn man den Gedanken zu Ende führt, erkennt man, was diese Revolution brauchen wird: wissende Menschen, Anstrengungen mit an der Spitze zu bleiben, ein neues gesellschaftliches Bewusstsein und ein völlig reformiertes Bildungssystem, sowie gewaltige Investitionen nicht nur des Staates, sondern auch aus dem privaten Sektor. Kleine Länder, kleine Unternehmen stehen vor gewaltigen Herausforderungen.
Die Schwerpunkte und Früchte der industriellen Revolution, die Europa 200 Jahre lang an der Spitze hielten, drohen ihre Bedeutung zu verlieren. Der Fokus der Big Player liegt auf Amerika und Asien, während die Kommissionspräsidentin von einem autarken Europa träumt. Im Moment sieht es nicht so aus, als könnte jemand diese Strömung stoppen.

Nach meiner Überzeugung wird jeder (ausgenommen jene, die schon tief im Seniorat stecken), die Digitalisierung verinnerlichen müssen. Aber nicht als passiver Konsument einer Lebensumgebung, die ohne sein Zutun zurechtgezimmert wurde. Sondern als ständig aufmerksam Lernender, der seinen Platz in dieser neuen Welt, (ob einer schönen, weiß man nicht) suchen und finden muss.

© walter krammer (wct)

 

 

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