Das ganze Ungemach der Trennung zwischen EU und dem Vereinigten Königreich kommt wieder hoch. Endlich haben es sogar die eigenen Leute gemerkt. Der lustige Boris hat ausgehampelt.
Freund und Feind waren ihm egal, wenn es um den kürzesten Weg zur Erreichung seiner Ziele ging. Der hakenschlagende, als unkonventionell geltende Johnson und seine Zaubertricks beeindruckten ein paar Jahre hindurch Journalisten und Wähler. Erwachsene, durchaus lebenserfahrene Menschen.
Ciceros Forderung „esse quam videri“ (die Tugend etwas wirklich zu sein und nicht nur so zu scheinen) muss schon in der Politik des alten Roms spürbare Ursachen gehabt haben, woher käme sonst sein überlieferter Ärger? Aber heute?
Anhand vieler Beispiele in diversen europäischen bzw. westlichen Ländern bleibt der zwingende Schluss: der Zugang zu Spitzenämtern im öffentlichen Leben mag zwar demokratisch organisiert sein, was aber keine Garantie für die Befriedigung durchaus berechtigter Qualitätsansprüche darstellt.
Mehrheitliche Unterstützung in den entscheidenden Gremien ist noch kein sicherer Indikator für die erforderliche Amtstauglichkeit. Wobei Tauglichkeit im Sinne einer Partei noch lang nicht Nutzen für das Ganze bedeutet. Daher darf die Auswahl verantwortlichen Spitzenpersonals nicht nur ausschließlich der Mehrheitsbildung überlassen bleiben. Wie stellt man die entsprechende Qualifikation sicher ?
Garantiert Meinungsfreiheit Objektivität?
Die täglich tausendfach „Veröffentlichte Meinung“, angeblich 4. Gewalt im Staat, die allseits kontrollierend dafür sorgen soll, dass der Objektivität und der Wahrheit Bahn gebrochen wird, mutiert aus verschiedenen Gründen mehr und mehr zum Transporteur ungefilterter aber auch unüberprüfter Nachrichten, Meinungen und vorschneller Urteile. Dies sogar in dem Jahrhundert menschlicher Entwicklung, das als das aufgeklärteste gelten müsste.
Die in Echtzeit permanent vorhandene digitale Öffentlichkeit orientiert sich nicht an nachgewiesenen Fakten, an seriösen sicheren Quellen, sondern schwelgt in Oberflächlichkeit.
Komplexe Zusammenhänge werden geradezu verabscheut. Im TV hat der Politikwissenschafter seinen festen Platz gefunden, der selbst nach 5-Minuten-Nachrichten dem ausharrenden Restfernsehvolk die Welt erklären muss. Für zu Kompliziertes reicht angeblich die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne des Konsumenten nicht mehr aus. Bei der 3 Stunden–TV-Strandparty hingegen hat das Publikum kein Problem alle Liedtexte auswendig mit Verve nachzuschmettern.
Der Perspektivenwechsel wird zur Selbstverständlichkeit.
Erregte die Akzeptanz, die in Amerika den unbekümmerten öffentlichen Mätzchen Donald Trumps entgegengebracht wurde, in Europa eine Zeit lang noch ungläubiges Kopfschütteln, wundern sich nur noch wenige darüber, dass Johnson zum Schluss ausgerechnet über einen Herrn Pinsher stürzte.
Nicht darüber, dass die von vielen erwartete lichtvolle Zukunft, herbeigeführt durch den Brexit, in unerreichbare Ferne rückt.
Nicht darüber, dass die in EU-Europa mittlerweile abgeschaffte Grenzbürokratie im nunmehrigen Drittlands-UK chaotische Zustände auslöst.
Nicht darüber, dass eine offene Massenflucht wichtiger, schwer entbehrlicher ausländischer Arbeitskräfte stattfand.
Nicht über verheerende medizinische Verhältnisse, die z.B. ein mir bekanntes österreichisch-holländisches Paar zur schleunigen Rückkehr nach Österreich veranlasst hat.
Nicht über alarmierende Wirtschaftszahlen, die Andrew Bailey, Chef der Bank of England, gar nicht bestreitet.
Nicht über den jetzt offenbar werdenden Umstand, dass UK die Vereinbarungen mit der EU bezüglich Irlands/Nordirlands nie einhalten wollte und dies zu faktisch unüberbrückbaren Schwierigkeiten führen wird. „Pacta sunt servanda“ – in London nie gehört?
Nicht über die weiterhin schwelende Schottlandfrage, die ebenfalls mit dem Brexit zusammenhängt.
In welchem Zustand befindet sich dieses für den Kontinent unerhört wichtige Land, wenn solche Umstände in der Fraktion der Regierungspartei für die Ablöse des Regierungschefs keine Rolle spielten?
Erst „richtige“ Argumente, die bei der Bevölkerung Anklang fanden, brachten seine Parteifreunde auf die Palme. Ein Foto des Premierministers mit einem im Lockdown geschwungenen Champagnerglas. Mehr noch aber seine offene Unterstützung eines mutmaßlichen Tory-Grapschers.
Dann erst ging’s.
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Salve
Wie so oft, in Sachen EU bin ich anderer Meinung! JA, Boris hat sich nicht gut benommen…aber gut, wer sich die Aussagen mancher agierender Politiker anhört und Ihre Taten… wer macht das schon richtig!
Trotzdem geht es den Briten besser als mit der EU, Stichwort sicherer Bankhafen direkt vor der EU, Stichwort Partner der USA
Rundum, die machen es schon richtig die Briten…. und sind ein wehrhaftes „britisches“ Dörfchen das der EU permanent zeigt, es geht auch ohne EU