Vorhersehbar oder nicht? Eine Gewissensfrage.

wordcraft.at / Punctum Saliens
⇒ Dieser Text basiert auf einem Beitrag aus der  Reihe "Handelsagenten Spotlight"

Unsicherheit hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben. Der moderne Mensch lebt jedoch im Bewusstsein den Anforderungen der wachsenden globalen Komplexität begegnen zu können. Ermutigt angesichts wissenschaftlichen Fortschritts, selbstsicher durch besseres Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge und nicht zuletzt durch den Gebrauch weltumspannender Informationssysteme. Und trotzdem können wir nicht alles vorhersehen. 

Wenn man die Bewältigung der Finanzkrise zu Anfang dieses Jahrhunderts vergleicht mit der Weltwirtschaftskrise in den 30er-Jahren, sieht es so aus als hätten wir die Dinge besser im Griff. Unser Fokus liegt in erster Linie auf Europa beziehungsweise auf den hochentwickelten Ländern. Weltweit gesehen gibt es viel Luft nach oben.

Die Unwägbarkeit oder das, was der Mensch einfach nicht verhindern kann, existiert unverändert. Sogar, was sicher belegt erscheint, ist nicht immer gewiss. Man denke an die vielen Studien und Statistiken, die herumschwirren und uns als Wahrheit verkauft werden. Selbst sie treffen „gefühlt “ häufig nicht die Befindlichkeit des Einzelnen.

Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Corona, Inflationsdruck, Kriegsauswirkungen – alles zusammengepackt in 2 Jahrzehnte – ist schon recht heftig. Das Thema Umweltschutz und Erderwärmung wird noch Generationen beschäftigen und möglicherweise global in schwere Konfusionen und Konflikte stürzen. Verschärft wird die Lage durch einen, für menschliche Begriffe, gewaltigen Zeitdruck.

Die Lebensspanne in Österreich beträgt statistisch etwa 80 Jahre und war bis jetzt immer steigend. Der Wunsch der Eltern geht verständlicher Weise dahin, dass diese Zeit den Kindern mehr bieten soll als ihr eigener Lebensverlauf ihnen selbst gebracht hat. Schwere Einbrüche, wie oben genannt, passen dann schlecht in das  Konzept, vor allem, wenn es davor doch so gut gelaufen ist.

Solang eine gute Ausbildung, ein lebendiger Leistungswille und eine umsichtige Lebensführung uns stetig den Weg nach oben weisen, ist alles gut. Wären da nicht eben die Unwägbarkeiten, die man nicht vorhersehen kann und deren böseste Eigenschaft es ist, dass man ihren Folgen nur mit Glück und nicht nachlassendem Optimismus, häufig aber gar nicht entgehen kann. Im Glücksfall lässt es das Schicksal gerade noch gnädig bei einem Streifschuss bewenden.

Es ist nicht alles Schicksal, was nicht passt.

Der politische, berufliche oder private Streit entzündet sich immer wieder an der Frage, welche Umstände nicht oder sehr wohl vorhersehbar waren. Die Aufklärung hat uns gelehrt, dass alles seine Ursachen hat. Daher scheint es logisch, dass es auch immer einen Schuldigen geben muss.

Schon bezüglich der oben angeführten großen Nöte von der Finanzkrise bis zum Krieg in der Ukraine prallen heute in den Leitartikeln und renommierten Talkshows die Ansichten von „das konnte im Vorhinein keiner wissen“ bis „das musste ja so kommen“ wütend aufeinander. Wechselweise Schuldzuweisungen aus verschiedenen Richtungen lassen unweigerlich Zweifel an der Unausweichlichkeit aufkommen. Andererseits würde „schicksalshaft“ für alle schuldbefreiend wirken, die irgendwie in der Verantwortung gestanden sind.

Natürlich gilt das nicht nur für politische Themen, sondern in gleicher Weise für Wirtschaftstreibende, für die Chefs der großen Banken und Konzerne ebenso wie für den kleinen Unternehmer um die Ecke, wenn etwas im ureigensten Bereich nicht klappt. Es gibt den unabwendbaren Schicksalsschlag. Aber eben selten. Meistens existiert eine handfeste Ursache. In diesem Fall aber müssen doch negative Entwicklungen in der Gesellschaft, im Staat, im eigenen Unternehmen  rechtzeitig erkennbar und schon gar nicht unabwendbar gewesen sein. Wurden sie einfach ignoriert? Die Erklärung „Da konnte man nichts machen“ wollen Negativbetroffene klarerweise so nicht stehen lassen. Schon deshalb ist eine objektive und gründliche Ursachenerforschung im Interesse aller unerlässlich für die erfolgreiche Bewältigung ähnlicher Situationen in der Zukunft. Das ist nicht schwer zu verstehen.

Umso bemerkenswerter und ärgerlicher ist der zusehends um sich greifende aggressive Stil der öffentlichen politische Diskussion, die darüber hinaus unbekümmert gesicherte Fakten ignoriert. Leider ist nicht zu leugnen dass sich gelegentlich auch renommierte Medien an derartigen Schlammschlachten beteiligen. Bei allen kurzfristigen Vorteilen, die durch diese Vorgangsweise für den einen oder anderen Politiker oder eine ganze Partei erhofft werden, rechtfertigt eine solche Gangart in der langfristigen Beurteilung nie die erheblichen Nachteile für das gemeinsame Ganze. Es handelt sich um eine rücksichtslose Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas. 

Wie soll die Bevölkerung zwischen Leistung und Nichtleistung, zwischen zielstrebigem Bemühen und Spiegelfechterei, zwischen verantwortungsvoller Führung und hemmungslosem Populismus unterscheiden, wenn sie permanent in einem Nebel aus Un- und Halbwahrheiten herumstochern muss.

Angeblich verdoppelt sich das Wissen der Menschheit jeweils innerhalb von 7 Monaten. Kein Mensch kann  alles wissen, aber auch er ist in der Pflicht sich zumindest ein Bild zu machen über die Seriosität der Nachrichtenquellen. Ein hinreichendes Bildungs- und Informationsniveau zu haben, ist nicht nur lebensnotwendig, sondern Bürgerpflicht.

Man erkennt schon: es wäre an der Zeit auch Österreich an eine weitreichende Transparenz zu gewöhnen und u n a b h ä n g i g e Kontrollmechanismen zu forcieren. Der Widerspruch zwischen den Ansprüchen einerseits auf „das öffentliche Dabeisein bei allem und jedem“  und der verfassungsmäßig garantierten persönlichen Freiheit wird in Zukunft unausweichlich jeweils entlang ideologischer Linien entschieden werden.

©walterkrammer(wct)

 

 

Auf Ihre Meinung sind viele Menschen gespannt!

Mit erwartungsvollen Grüßen
– Ihr Walter Krammer

Walter Krammer Signature

2 Kommentare. Leave new

  • Andreas Dax
    1. Oktober 2022 11:26

    In diesem Blog wurden eine Fülle von spannenden Themen angesprochen, jedes einzelne wäre einen individuellen Blog Beitrag Wert….

    Die einleitende Feststellung betr. offensichtlich besserer Bewältigung der aktuellen Weltwirtschaftskrise verglichen mit den 30er Jahren, wage ich zum momentanen Zeitpunkt noch nicht positiv zu kommentieren. Verglichen zur Abfolge von Einzelereignissen der damaligen Zeit (Grippepandemie 1919/20, Verknappung von Gütern, massive Teuerung, Hungersnot, Rechtspopulismus, 2. Weltkrieg) stehen wir hier heute gerade einmal in der Mitte der Zeitlinie, beim Ereignis ’Teuerung’. Ein Deja-Vu? Man kann nur hoffen, es ist keines.

    Natürlich ist all das schlimm für den Einzelnen (oder genauer gesagt: für manche Einzelne), und wie richtig angesprochen werden uns hier Studien wohl vorsätzlich als Wahrheit verkauft wenn es darum geht Unvorhersehbarkeit aufzuzeigen. Aber, um den Einzelnen geht es hier nicht. Weltwirtschaft ist nicht eine Sache des Einzelnen sondern die einer Gruppe oder grösseren Gemeinschaft. Es gilt hier auch nicht das Prinzipe “die Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied”, sondern genau umgekehrt: der Einzelne wird von den Gruppeninteressen ‘overruled’.

    Das führt unweigerlich zu Konflikten. Konflikte entstehen aber grundsätzlich nur aus der mangelnden bzw. bewussten Prioritätensetzung seitens der “Macht”, wer immer das auch ist (Politik, Medien, einzelne Oligarchen, die Liste lässt ich wahrscheinlich weit fortsetzen). Es werden Konflikte absichtlich geschürt und das Prinzip der Gruppendynamik par excellence ausgenutzt: Gut gegen Böse. Würde man sich auf eine gemeinsame Strategie fokussieren, die alle unterschiedlichen Gruppen einschließt und ‘mitnimmt’ wäre vieles einfacher. Das widerspricht aber dem Machtprinzip der Gruppendynamik. Das ist wie eine Katze die sich in den Schwanz beisst, und somit aussichtslos. Wir werden eben mit Konflikten und ‘Unvorhergesehenem’ leben müssen, und mussten das auch immer schon in der Geschichte. Vielleicht geht es uns gerade deshalb heute besser als damals? Und damals besser als davor?

    Auch wenn Eltern hier mit Angst in die Zukunft ihrer Kinder blicken, weil aktuelle Krisen und daraus resultierende schwere Einbrüche nicht ins Konzept der Eltern passen, die ihren Kindern nur das beste mitgeben wollen: Das ist in meinen Augen unberechtigte Angst. An den Herausforderungen wächst man und bringt die Welt weiter. Unsere Kinder wissen ja nicht wie ihre Eltern gelebt haben, sehen sich selbst als den Zeitpunkt ’Ground zero’ und arbeiten sich auf der Basis vorwärts. Unsere Kinder werden es gefühlt immer besser haben als ihre Eltern, einfach weil sie evolutionsbedingt immer besser und optimierter mit Herausforderungen umgehen werden als ihre Eltern, und damit persönliche Erfolge erzielen werden. Unwegbarkeiten sind nur ein willkommener ‘Booster’ für Leistungssteigerungen und damit zu einem besseren Leben.

    Wenn es darum geht nun Verantwortung zu suchen für das Unvorhergesehene (Finanzkrise, Ukraine Krieg), das eigentlich vorhersehbar hätte sein müssen, dann denke ich sollte man dieser Suche nah Verantwortung nicht all zuviel Wichtigkeit zuschreiben. Es wird nämlich am Fortgang der Geschichte der Menschheit nicht viel ändern. Wir werden die gleichen Fehler, wenn man überhaupt von Fehlern sprechen kann, immer und immer wieder machen. Und wir werden auch immer darüber reden, dass “wir Schin wieder die selben Fahler machen wie in der Geschichte”. Ich denke, wir brauchen diese Fehler wie einen Bissen Brot um unseren nächsten Generationen einen Boden für Kreativität zu ermöglichen und die Welt damit kontinuierlich zu verbessern. Wäre alles gut auf dieser Welt, und es gäbe keine Konflikte, die Erde würde zu einem grossen Couch-Potatoe verkommen. Das widerspricht dem genetischen Drang der Menschheit, immer neue Grenzen überschreiten zu wollen, zu wachsen und Dinge nachhaltig zu ändern. Im Fall einer immerwährenden Zufriedenheit (da kommt mir übrigens auch gleich der Neutralitätsgedanke auf…aber ein anderes Thema) wäre die Menschheit wohl wegen Fettleibigkeit bereits ausgerottet. Irgendwann geht jede Made im Speck grausam zugrunde.

    Aber zurück zu Konflikten, die wie im Blog angesprochen zu einer Vergiftung auch des (politischen, gesellschaftlichen) Klimas führt, basierend auf aggressivem Stil in der Politik, um daraus auch noch politisches Kapital zu schlagen: Das ist vor allem in der USA zu beobachten, das dortige 2-Parteien System schafft eine extreme schwarz/weiss Gruppendynamik. Da sind wir in Europa wesentlich weiter, durch starken Pluralismus und Mehrparteiensysteme. Das hilft, im Vergleich zu USA, Konflikte und Vergiftung abzufedern, ganz eliminieren wird man es nie können. Schon Shakespear lehrt uns in Romeo und Julia, das ein Konflikt zwischen der Loyalität gegenüber der eigenen Familie und der verbindenden Kraft der Liebe nur mit dem Tod gelöst werden kann, um diese Gegensätze zu vereinen. Vielleicht ist es auch besser so?
    Solange es Mensch gibt wird es Intrigen, Halbwahrheiten, persönliche Interessen, vermeintlich ‘Unvorhergesehenes’ und Konflikte geben. Aber good news: wir wissen damit umzugehen und gehen daraus am Ende nur gestärkt hervor. Zumal Kontrollmechanismen und Transparenz natürlich absolut wünschenswert wären, das hätte dann zumindest einen mildernden und reinigenden Effekt, ähnlichen jenem des Aspirins, welches man bei Erkältung nimmt. Das hilft vorübergehend, bis zur nächsten Erkältung. Die Ursachen allerdings auszurotten wäre der zielstrebigere Weg, nämlich alle Grippeviren dieser Welt zu vernichten. Dass das nicht funktioniert, wissen wir, daher belassen wir es beim Aspirin.

    Trotzdem stimme ich zu: hören wir nie auf mit Ursachenforschung für vergangene Probleme und Missstände. Aufarbeitung ist gut, und man kann hoffen, dass dadurch der Boden, den wir den nächsten Generationen übergeben ein wenig fruchtbarer sein wird. Und letztlich dient Ursachenforschung und Aufklärung natürlich auch potentiellen Konflikten ein stückweit entgegen, weil sie ein Grundprinzip der Demokratie darstellen, und damit die Menschen in diesen Demokratien ’in Schranken’ halten. Es ist ein kleiner Beitrag zum Frieden, zu Ruhe und Ordnung. Aber was die Welt wirklich besser macht, nicht jedoch vorhersehbarer (das sind 2 unterschiedliche Aspekte), sind die jungen Generationen. Lassen wir sie die Welt gestalten, lassen wir sie mit Konflikten umgehen lernen, und die Welt für ihre Nachfolger wieder ein Stück besser machen. Ein Vergleich zur Kindererziehung zeigt: wenn du nie gelernt hast mit deinen Geschwistern ordentlich zu streiten, wirst du die Herausforderungen der Welt nicht meistern.

    Wie war das nochmals mit der Made im Speck?

    Antworten
    • Walter Krammer
      1. Oktober 2022 14:10

      Der vorliegende inspirierende Kommentar ist ein weiterer Beweis dafür, dass Themen wie z.B. die Vorhersehbarkeit zu einer fast nicht endenden Verzweigung der Gedanken führen. In einer fremden Wohnung könnte man nach einem kurzen „Sich-Umsehen“ meinen, das würde für eine Einschätzung reichen. Ja. Wäre da nicht die Neugier diese eine Türe noch zu öffnen. Und da haben wir es dann. Denn dieser Raum hat auch wieder 3 Türen ……..usw. usw

      Auf einen Widerspruch möchte ich schon hinweisen. Einerseits empfiehlt der Autor der Suche nach Verantwortung für Misslungenes nicht zu viel Bedeutung zu geben, andererseits aber unterstreicht er die Notwendigkeit der Ursachenforschung und Aufklärung.
      Vor etwa 600 Jahren begannen die Europäer über den Tellerrand zu schauen. Es stellte sich heraus, dass der Blick nach vorn, in die Zukunft, und die Beschäftigung mit dem Unbekannten vielversprechender war als das ständige Befingern der Vergangenheit. (vergleiche dazu: Ray Dalio, Weltordnung im Wandel, Finanz Buch Verlag 2022). Wir Heutigen sind auf den ersten Blick die Profiteure dieser Entwicklung. Allerdings ist sie janusköpfig, weil die Nachteile, die sie uns beschert hat, auch nicht von Pappe sind.

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