Nr. 72 – Vertrauen ist eine harte Währung

wordcraft.at / Handelsagenten Spotlight
In wie viele Menschen, Umstände und Dinge investieren wir unser ganzes Leben lang Vertrauen?  Je besser wir sie kennen, desto mehr glauben wir, dass unser Vertrauen oder Misstrauen berechtigt ist. Auf diesen Überlegungen basiert das heute unerlässlich scheinende Marketing, das uns „offenherzig“ mit positiven Informationen über Produkte und Unternehmen überschüttet und zugleich danach trachtet ein Maximum über uns zu erfahren, da ein differenziertes Wissen über die ins Auge gefassten Zielgruppen bare Münze verspricht. Über weite Strecken geht dieses Kalkül tatsächlich auf.

 

Die Kette des Vertrauens

Grundlage unseres Berufs ist die Vertrauenskette Erzeuger – Handelsagent – B2BKunde, die in beiden Richtungen funktionieren muss.
Der Erzeuger setzt sein Vertrauen in  einen bestimmten Menschen (gleichgültig ob Frau oder Mann) das Bild des Unternehmens und seiner Produkte erfolgreich in die Welt der möglichen Kunden tragen zu können.
Der Einkäufer wieder, der auch nicht ohne fachliche und allgemeine Lebenserfahrung handelt, hält im positiven Fall das „Narrativ“ des Handelsagenten, wie es heute so schön heißt, für eine  tragfähige Information, die auch eine größere finanzielle Investition rechtfertigt.

Die unbestrittene Forschung sagt, dass sich unser Gehirn schon bei der ersten Begegnung auf ein Urteil festlegt, das zwischen „Achtung, gefährlich“ und „sympathisch und vertrauenswürdig“ liegt und dazu nur Bruchteile von Sekunden aufwendet. Angesichts dieses Minimums an Informationsumfang geht unsere Schaltzentrale ein ganz schönes Risiko ein. Aber, was soll sie denn anderes tun, wenn die Situation eine sofortige Reaktion notwendig macht. Wenn man will: hinhauen oder küssen?
Meist wählt sie einen hinhaltenden Zwischenweg zum Zeitgewinn.

Die professionelle Bedeutung der Vertrauensbildung

In der Geschäftswelt sind die Überprüfungszeiträume länger und die Methoden härter. Aber der unerklärliche Verlust von Millionenbeträgen oder das unerwartete Zerbrechen von Partnerschaften zeigt uns, dass es auch in dieser Welt nicht nur rationale Entscheidungen gibt.
Über weite Strecken sind es auch dort die „vertrauensbildenden Maßnahmen“, die häufig erst zur Vorbereitung fundierter rationaler Entscheidungen den Weg ebnen. Der Mensch als soziales Wesen kommt auch heute noch nicht ohne – im übertragenen Sinn – das archaische Beschnüffeln oder Angreifen aus, um andere in der Vertrauensskala einzuordnen. Wobei Martin Hartmann in seinem Buch „Vertrauen, die unsichtbare Macht“ (S, Fischer Verlag, 2022) davon ausgeht, dass wir unser Leben nur bewältigen können, weil wir mit einem Grundvertrauen ausgestattet sind, das meistens unser ganzes Leben funktioniert. Zum Beispiel fahren wir jeden Tag unbekümmert mit dem Aufzug ohne Angst vor einem Absturz. Spontan schalten wir den Gasherd ein (und nicht erst nach 5 Minuten des Zögerns). Wir vertrauen einfach in seine Funktionstüchtigkeit, obwohl er potenziell gefährlich ist.

Unser Basisvertrauen ist notwendig, denn krankhaftes Misstrauen würde unser Leben zerstören. Aber wir sollten uns dessen bewusst sein, dass wir zweierlei Vertrauen handhaben. Einerseits mutmaßen wir, dass uns Katastrophen nicht betreffen werden, die eben selten passieren. Also vertrauen wir darauf, dass etwas  n i c h t  eintritt.
Andererseits rechnen wir damit, dass wir uns auf Menschen, Einrichtungen, Organisationen verlassen können, weil diese zuverlässig zur Stelle sein werden, wenn es notwendig ist. Also, dass unser Vertrauen positiv erfüllt wird.

Sie werden bemerkt haben, dass in vielen Fällen Ihre Kunden sie heutzutage völlig ungeniert ausfragen, bevor sie einen Kaufvertrag unterschreiben. Nicht weil sie misstrauischer sind als Generationen vor ihnen, sondern weil es eine Frage der Intelligenz ist verschiedene Risikoquellen im Vorhinein zu besprechen und nach Möglichkeit z.B. durch einen Vertragszusatz auszuschalten.

Allheilmittel Transparenz?

Medien berichten immer wieder über Unzulänglichkeiten in Politik oder Wirtschaft, die niemand in diesem Umfang erwartet hätte. Das enttäuschte Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit solcher Bereiche ist gewaltig und schlägt sich in verheerenden Umfragezahlen nieder.
Manche meinen eine derartige Entwicklung durch weitreichende Transparenz unterbinden zu können. Nagen doch alle Vorfälle am Grundvertrauen der Gesellschaft.
Jedoch ist vorherzusehen, dass die geforderte Durchsichtigkeit aller Lebensbereiche (z.B. Veröffentlichung polizeilicher oder staatsanwaltlicher Erhebungen, Bekanntgabe der Einkommen aller Staatsbürger, unbeschränkte Aufgabe des Amtsgeheimnisses etc.) wieder andere Probleme schafft. 9 Millionen Einwohner unseres Landes werden es kaum ertragen wollen, dass unter rechtlichen Vorwänden und im Gegensatz zu den herrschenden Persönlichkeitsrechten ihre Daten und Lebensumstände durch den Gesetzgeber allgemein zugänglich gemacht werden.

Was ist die abschließende Erkenntnis?

Das Gefühl der Sicherheit, das eine ausgeglichene Lebensführung und die positive Wirtschaftsentwicklung begünstigt, hängt nicht zuletzt vom Vertrauen ab, das wir in unsere nähere und weitere Umgebung setzen können.
Der mögliche Beitrag des Einzelnen ist einerseits selbst eine vertrauensvolle Grundstimmung zu entwickeln und eine solche bei anderen Menschen durch entsprechendes Verhalten zu fördern.

Nicht immer einfach, aber wichtig.  

©walterkrammer(wct)

 

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