Nr. 83 – Klimawandel. Schon wieder in die Abhängigkeitsfalle?

wordcraft.at / Handelsagenten Spotlight

Lernen wir nicht aus der Geschichte?

1974 machte sich in Europa der Ölschock breit. Die Opec-Staaten Algerien, Irak, Katar, Kuwait, Libyen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate rächten sich mit einem Ölembargo gegen den Westen für dessen Unterstützung Israels im Jom-Kippurkrieg 1973. Es gab verpflichtendes Autofasten an 1 Tag pro Woche. In den Zeitungen sah man Kinder mit Rollschuhen auf den gesperrten Autobahnen. Die überraschten europäischen Staaten begannen ½-Jahresvorräte anzulegen, um etwaige weitere Erpressungsversuche der Erdöllieferanten zu unterbinden. Plötzlich musste man sogar das sauteure Luxusöl aus Norwegen in Betracht ziehen. Die Ölkeule traf die Industriestaaten an ihrer empfindlichsten Stelle.

4 Jahrzehnte später ein ähnliches Theater mit dem Erdgas. Die Pipelines, die sich vom Osten nach Europa schlängeln, blieben zusehends leerer. Führende Politiker schwärmten in alle Himmelsrichtungen aus, um das billige Gas aus dem Osten durch ein was-auch-immer-welches von wo-auch-immer-her zu ersetzen.

An einer anderen Front wird die Bevölkerung berechtigterweise unruhig, wenn sie verschriebene Medikamente wie Schmerzmittel oder Antibiotika in Apotheken wegen Lieferausfalls nicht erhalten kann. Wie man sieht, ist es nicht so schwer uns in die Magengrube zu hauen, obwohl wir angeblich zu den reichsten Ländern der Welt gehören.

In allen Fällen zeigt sich die Abhängigkeit der europäischen Volkswirtschaften, die es sich sogar in lebenswichtigen Bereichen so bequem und ökonomisch günstig wie möglich eingerichtet haben. Lesen Sie dazu meinen Blog „Ach du süße Abhängigkeit“ aus dem Juni 2022 HIER

 

In den nächsten Jahrzehnten kommt zu den politischen Problemen noch der Faktor Klimawandel.

Die Wissenschaft gibt der Menschheit 20 – 30 Jahre Zeit die ärgsten Folgen doch noch abzubiegen, sofern man die Energiegewinnung auf erneuerbare Quellen beschränkt. Allerdings gibt es dabei Hürden ohne Ende.

 

Zuerst ein paar Ziele und Bedingungen, die von Klimaschützern als unausweichlich betrachtet werden.

▪ 2050 muss vonseiten der Spezies Mensch alles Erforderliche getan sein die Klimaänderung im Zaum zu halten. Das bedeutet, von den Menschen benötigte und benützte Energie muss aus klimaneutralen, erneuerbaren Quellen stammen.

▪ Die ganze Welt muss mitspielen, aber man kann nicht erst dann anfangen zu handeln. wenn endlich alle tat-sächlich am gemeinsamen Strang ziehen.

▪ Dabei muss in allen Ländern die Einschränkung des Klimawandels (d.h. auf der ganzen Erdoberfläche neue Klimabedingungen zu schaffen) oberstes Gebot sein und vor allen anderen internen Problem rangieren. Anders ausgedrückt, die kleinste Maßnahme im kleinsten Land ist besser als gar keine Maßnahme. „Wir haben nur 0,2% Anteil an der globalen Lösung“ bekommt daher als Argument die rote Karte.

Das ist aber nur ein Teil des Problems.

Die ersten 4 Absätze – Sie erinnern sich – sind dem Thema Abhängigkeit gewidmet. Aus gutem Grund.

Mit dem Verlangen  n u r  Strom dürfe in 30 Jahren die akzeptierte Energieform sein (der strikt aus regenerierbaren Quellen stammen müsse) und damit zugleich alle alternativen Überlegungen kategorisch zu verdammen, tun wir uns nichts Gutes. Lesen Sie Spotlight Nr. 25 „Alles Strom, oder was?“ aus dem Jahr 2021

Ähnlich wie bei der Pandemie hört man heute ein babylonisches Stimmengewirr der angeblich und tatsächlich Wissenden. Wobei auch sie keine unfehlbaren Propheten sind. Niemand kann den technischen und naturwissenschaftlichen Stand 2050 vorhersagen. Und schon gar nicht, dass zu dieser Zeit „sauberer Strom“ mit Sicherheit für die gesamte Menschheit im ausreichenden Ausmaß vorhanden sein wird.

Es eröffnen sich also die unterschiedlichsten Zukunftsszenarien, mit denen wir rechnen können bzw. müssen:

1.) Der dann ausschließlich klimaneutrale Energiebedarf muss weltweit empfindlich eingeschränkt werden, denn eine solche Energie steht nicht überall und jederzeit zur Verfügung. In diesem Fall bedeutet „ausreichend“ nur mehr einen Bruchteil dessen, was man heute unter diesem Begriff versteht. Mit allen daraus zwangsweise folgenden Konsequenzen.  Durchsetzbarkeit? Sanktionen?

2.) Klimaneutralität der Energie und ihrer Erzeugung wird wegen gravierender Widrigkeiten nicht mehr so genau genommen, besonders weil Wasserkraft, Wind und Fotovoltaik allein bei weitem nicht die komplette Versorgung der Erde oder auch nur eines Landes sicherstellen können. Zurzeit hilft man sich (un)verschämt mit dem Begriff der „Brückenenergie“ (Abstriche von strikten Anforderungen, aber nur für einen beschränkten Zeitraum). Greenwashing (Atomenergie, das Verheizen von Pellets zur Stromgewinnung, Grünes Gas  u.a.) hat schon begonnen, denn die einen haben Atomkraftwerke im Überfluss, anderen ergeht es so mit Autofabriken und Dritte haben von Beidem etwas. Dazu kommt, dass die „verantwortbaren“ Möglichkeiten der Energiegewinnung in allen Staaten höchst unterschiedlich gesehen werden.

3.) Man kombiniert „neue“ klimaneutrale Energieformen, wie z.B. Wasserstoff mit herkömmlichen Einsatztechniken (Wasserstoff + adaptierter Verbrennungsmotor u.a.).

4.) Techniken, die heute nicht einmal noch im Labor getestet werden, lösen das ganze Problem oder wenigstens Teile davon mit einem Schlag. Nicht höchstwahrscheinlich, aber bei der heute erkennbaren Rasanz wissenschaftlichen Fortschritts nicht ganz unmöglich.

Die Aufzählung ist nicht vollständig und jedwede Mischform ist denkbar. Manche Varianten sind nicht markttauglich, weil man zurzeit entweder den gewonnenen Strom nicht speichern kann oder der Transport mit Stromtrassen durch das ganze Land den Wirkungsgrad erheblich vermindert und der Widerstand der Bevölkerung die erforderlichen Baumaßnahmen verhindert. Aus diesem Grund sind manche Stromformen für gewisse Industriesparten nicht sicher genug. Exportländer wie Österreich kommen jedoch ohne Industrie nicht aus. Eine folgerichtige Abwanderung der Betriebe schlüge sofort auf den Wohlstand in unserem Land durch.

Daher:

angesichts dieser Faktenlage ist es eine Frage der praktischen Vernunft sich  a l l e  Optionen der Energieversorgung möglichst lang offen zu halten und keine ausschließlichen Entscheidungen zu treffen, ohne die langfristige technische Entwicklung und jene der geopolitischen Lage in den nächsten 30 Jahren mit einer gewissen Sicherheit abschätzen zu können. Andernfalls sind neue Abhängigkeiten unvermeidbar. Dies auch in dem Bewusstsein, dass auf Dauer eine autarke klimaneutrale Energieversorgung Österreichs unter den gegebenen Verhältnissen ein kaum erreichbares Wunschziel sein wird.

©walterkrammer(wct)

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