März 2024
Der Bezirksvorsteher der Innenstadt und die zuständige Wiener Stadträtin haben sich darauf geeinigt, die Verkehrsflächen des 1. Bezirks grosso modo den Anrainern zum fast ausschließlichen Gebrauch zu überlassen. Ein ausgeklügeltes Kameraüberwachungssystem soll darauf schauen, dass autofahrende Fremdlinge öffentliche Flächen im 1. Bezirk maximal eine halbe Stunde benützen oder durch eiliges Verkriechen in einer der wenigen Innenstadtgaragen eine kameraunterstützte Strafverfolgung vermeiden.
Foto wordcraft
Aber – die Sektkorken für die „Firsties“ können noch immer nicht knallen.
Warum? Weil die lückenlose elektronische Überwachung eine diesbezügliche Ermächtigung in der Straßenverkehrsordnung erfordert hätte.
Keine Ermächtigung durch die STVO
Die letzte 34. Novelle der Straßenverkehrsordnung, die teils am 1.September 2023 , teils am 1. März 2024 in in Kraft getreten ist, erlaubt nicht den Geniestreich des nahtlosen Fotografierens aller in den „verkehrsgeschützten“ Bezirksbereich einfahrenden Fahrzeuge.
Um abzuhelfen, sollte vor Kurzem ein runder Tisch im Verkehrsministerium Klarheit schaffen.
Dem Vernehmen nach wollte die Ministerin mit Rücksicht auf den Schutz des Demonstrationsrechts nicht davon abrücken, dass die Kameras während einer etwaigen Demonstration im 1. Bezirk abgeschaltet werden müssen. „Dann können wir es gleich sein lassen“ war die bündige Antwort der Wiener Stadträtin angesichts jährlich etwa 1.800 derartiger Veranstaltungen auf Innenstadtboden.
Aber Wien ist nicht allein.
Jedes Bundesgesetz gilt in ganz Österreich. Was Wien hinsichtlich Kameraüberwachung recht ist, mag dann z.B. Leoben billig sein. Erfindungsreiche Bürgermeister und Verkehrsreferenten werden die nötigen Begründungen für schrankenlose Bildaufzeichnungen beibringen.
Einen diesbezüglichen Hinweis gibt ein ORF-Online-Bericht, dass St. Pölten und Leoben(!) es gar nicht erwarten können und 25 (!) Kommunen allein in OÖ zu Unterstützern dieses Projekts der öffentlichen Fotokunst gehören.
Chat GPT vibrant scene of Leoben center
Auch der Vizebürgermeister von Linz würde gern auf diese Weise in Siedlungsgebieten (und wo gibt es die nicht?) Verkehrseinschränkungen besser kontrollieren. (Orf 21.2.24)
Ich muss der geschätzten Leserschaft davon abraten solche Anlagen vor Ihrem Gartenzaun zu installieren, nur weil Sie am liebsten selbst ungehindert Ihr Auto jederzeit dort hinstellen wollen. S i e und Ihre Nachbarn dürfen das natürlich nicht.
Was spricht gegen lückenlose öffentliche Überwachung der beschriebenen Art?
Erstens gibt es keinen argumentierbaren Grund die Benützung öffentlichen Raums großflächig nur den Personen oder Firmen vorzubehalten, die ihr Fahrzeug im jeweiligen Bezirk angemeldet haben.
Zweitens kann man mit Recht die geplante technische Maßnahme (verknüpfte Überwachungskameras) für überschießend halten. Es ist nicht notwendig Fahrzeugbewegungen elektronisch aufzuzeichnen, da der gewünschte Effekt auch mit Verkehrszeichen herbeizuführen ist.
Drittens wird das Tor zur gänzlichen Überwachung der Staatsbürger durch diese Aktion wieder ein weiteres Stück aufgestoßen.
Es ist daher nicht wünschenswert, dass das Verkehrsministerium einigen wenigen Partikularisten zuliebe zur Überschwemmung Österreichs mit großflächigen kameragestützten Verkehrsüberwachunssystemen beiträgt.
Wie geht es weiter?
Zuerst wird innerhalb der Regierungskoalition nach einer Textfassung gesucht, die man als Regierungsvorschlag in die Begutachtung schicken kann. Wenn es eine öffentliche Begutachtung wird, können Sie sich mit Ihrer Meinung zu Wort melden. Nach Abschluss der Begutachtung wird sich ein Parlamentsausschuss mit der Materie beschäftigen, bevor das Parlament über die Regierungsvorlage abstimmen wird.
Auf Ihr amtliches Autofoto gleich neben der Staatsoper mit beigelegtem Strafbescheid, weil Ihr Rein und Raus nicht stimmt, werden Sie noch eine Weile warten müssen.
© walterkrammer (wct)