Juni 2024.
Politik und Wirtschaft sind naturgemäß voneinander abhängige Größen. Viele Staatsbürger, darunter auch Wirtschaftstreibende, sind der Auffassung ihr Beruf und ihr privates Leben könnten abseits des politischen Treibens stattfinden. Doch dem ist nicht so.
Dr. Thomas Hofer, langjähriger Beobachter der österreichischen Politikszene, zeichnete am 13. Juni im großen Saal der Wiener Wirtschaftskammer ein Bild der gesellschaftlichen Entwicklung, die von geopolitisch wirksamen Ereignissen, wie kriegerischen Auseinandersetzungen, einer höchstgefährlichen Pandemie, der zunehmenden Aufsplittung ehemals festgefügter menschlicher Werthaltungen, der Klimakrise oder KI gekennzeichnet ist.
„Postfaktisch“ ist Gift für die Wirtschaft
Die Bedeutung des Tagesgeschäfts und der Verzicht auf Langfriststrategien im staatlichen Bereich machen es für die Wirtschaft auch nicht gerade einfach. Man denke nur an das Hin und Her in Fragen der Atomkraft oder das Zurückdrängen fossiler Kraftstoffe. Das „postfaktische“ Verhalten von politischen Führern und nicht weniger der Bevölkerungen in Europa, für das die jeweilige Stimmungslage wichtiger ist als gesicherte Erfahrung und fundierte Erkenntnisse der Wissenschaft, schürt eine demokratiepolitische Unsicherheit, die sich auf die im globalen Wettbewerb schwer kämpfende europäische Wirtschaft fatal auswirkt.
All das „führe zu dem Gefühl des Kontrollverlusts“ und gehe lt. Hofer in Richtung „Emokratie“, eines Staates also, der mehr durch emotionale Bewegungen bei Verneinung der Faktenlage beeinflusst ist. Dies begünstige einen fast allgegenwärtigen Populismus, der wieder den Egoismus und das Anspruchsdenken in fast allen Ländern fördere.
Unzureichende Debattenkultur
Hofer strapaziert das Bild des „Turmbaus zu Babel“, der daran scheiterte, dass niemand mehr den anderen verstand. Die gesellschaftliche Fragmentierung – zusätzlich angeturnt durch eine aufkommende Identitätspolitik -, das weitgehende Fehlen einer gemeinsamen Fakten- und Debattenbasis, sowie eine zügig durchgehaltenen Zielgruppen-, man könnte auch sagen Klientelansprache, gewinnt merkbar an Boden.
Damit man sich nicht zu lang mit Details aufhalten muss, bedient man sich, besonders in den sozialen Medien, des sogenannten Framings, d.h. die unten sind gegen die Repräsentanten des „Systems“, die junge Generation gegen die Alten, die Armen gegen die Reichen, Freiheit gegen Unterdrückung, die Guten gegen die Bösen. Das verstehe jeder.
Die Empfehlung Hofers an die Wirtschaftstreibenden besteht darin, dennoch selbstbewusst und optimistisch an die jeweils eigene Aufgabe heranzugehen, wobei eine ständige Antizipation und Anpassung an den Veränderungsdruck zur Selbstverständlichkeit wird.
Eine angeregte Diskussion belohnte die Bemühungen des Vortragenden.
© walterkrammer (wct)
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