Wie wichtig ist Branchentreue für den Handelsagenten? Wann gilt „Neue Branche – neues Glück“? Aber der Reihe nach. Lieben Sie Anekdoten?
Als Hofmaler des mazedonischen Königs Alexander d. Großen hätte Apelles auf die öffentliche Ausstellung seiner Bilder verzichten können. Aber er war an der Meinung des Volks interessiert. Ein Schuster z. B. stieß sich an einer falsch gemalten Öse. Kein Problem, der Pinsel repariert alles.
Als der Schuhmacher am nächsten Tag an dem ganzen Bild herummäkelte, wurde es Apelles allerdings zu bunt. Der gute Mann solle doch „bei seinen Leisten bleiben“ zitiert ihn der römische Geschichtsschreiber Plinius d. Ä. fast 500 Jahre später. Der Satz wurde zum geflügelten Wort.

Was hat das mit den Handelsagenten zu tun?
Branchentreu sein oder flinker Hirsch? Das ist die strategische Frage für Handelsagenten. Bei „seinen Leisten bleiben“ oder für alles offen sein?
Branchengebundenheit weist auf Beständigkeit hin und die damit vermutete Fachkompetenz. Die andere Auffassung ist, dass ein gewiefter Kaufmann überall seinen Erfolg sucht, auch um den Preis des (ständigen) Branchenwechsels. Zwischen diesen Polen gibt es eine Vielfalt von Varianten.
Manchmal übernimmt die Not die Führung.
Infolge der Verwerfungen durch COVID, die von der Industrie bis zum Konsumenten alle Ebenen erfasst haben, wurde das Sprichwort von der Not, die erfinderisch macht, fast zu einem neuen Wirtschaftscredo. Beispiele dafür gibt es genug, denn es wird kurz entschlossen umgesattelt und up-gestartet. Selbst wenn es unlogisch erscheint gerade in Zeiten der Bedrängnis größere Risiken einzugehen.
Zu lange an den Produkten oder Verkaufslinien picken zu bleiben, für die es voraussichtlich (fast) keine Kunden mehr gibt, bringt einzelne Betriebe und ganze Branchen um. Der Zwang zur rettenden Neuausrichtung kommt für viele unverhofft, ist aber häufig unausweichlich. Ob die betriebliche Umorientierung noch dem traditionellen Auftritt des Unternehmens gerecht wird? Diese Frage wird folgerichtig zur Nebenfront.
Was schon die Indianer wussten.

Die Weisheit der Dakota-Indianer gilt für jeden Unternehmer: “ Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steige ab.“ (Digitaler Darwinismus, Springerverlag 2016, S 61). Oft ist es halt schwer, sich vom alten Pferd zu trennen. Zuerst bieten sich Ausflüchte an, wie man den Gaul doch noch zum Rennen bringen könnte: mehr Futter (Geld) geben, besser reiten lernen (Managementkurse), eine stärkere Peitsche kaufen (Mitarbeiterfluktuation), kürzere Tagesstrecken planen (schnelle Erfolge um jeden Preis) – und was einem sonst noch einfallen mag, nur damit man der Wirklichkeit nicht ins Auge schauen muss.
Die gesicherte Expertenposition in einer florierenden Branche wird niemand aufgeben.
Wenn es aber mit Ihrer Anbotspalette immer mühsamer wird, klären Sie für sich, wie es mit Ihrer Bereitschaft steht „die Leisten zu wechseln“. Sei es durch andere Vertretungen oder den Wechsel der Branche. Ehrlich gesagt, ist die diesbezügliche Flexibilität unter den österreichischen Handelsagenten nicht gerade überbordend. Damit wir uns nicht missverstehen: das ist nicht der Rat sich mit Hurra ins nächste Unglück zu stürzen. Branchenerfahrung ist für Handelsagenten ein Schatz, der über lange Zeit angesammelt wurde. Aber das soll Sie nicht daran hindern mit kühler Überlegung die Augen für profitable Veränderungen offen zu halten und – wenn sich Chancen bieten – diese auch zu ergreifen.
©walterkrammer(wct)