Eine Farce.
Man trifft einander auf Branchenveranstaltungen, auf Come-Togethers von Interessenvertretungen, auf Hausmessen, beim Heurigen, zu dem nur die wichtigen Leute eingeladen sind.
Wenn das Geschäft überall gut geht, kommt es selten zu tiefschürfenden Gesprächen. Jeder ist damit beschäftigt alle anderen wissen zu lassen, w i e gut das gute Geschäft läuft. Die Umsätze sind ein Vielfaches dessen, was sie noch vor 5 Jahren waren. Vor Stärke können die Herren kaum gehen.
Mittlerweile gibt es schon Experten, die branchenunabhängig, aber dringend angesichts solcher Veranstaltungen zum Vernetzen raten. Kurioserweise lesen Sie schon im Ihnen vorweg zugesandten Programm (so hieß das früher), wann es Zeit sein wird, sich zu vernetzen. Wenn es also im Zuge dieses „Events“ nichts gibt, das wichtiger wäre, wenn es keinen Keynotespeaker mehr gibt, der für ein paar tausend EURO bereit ist, den armen anwesenden Belehrungsbedürftigen die Welt zu erklären – dann dürfen Sie sich vernetzen.
In grauer Vorzeit war man froh nach ein paar Stunden hochkonzentrierter Präsenz auf unbequemen Stühlen sich am Buffet ein paar Stücke zu sichern, die die anderen übriggelassen haben. Das ist heute auch so, aber es ist unwichtig. Halten Sie Ausschau nach bedeutenden Persönlichkeiten. Schwätzer, die Ihnen von ihrem Unglück erzählen, bringen Sie nicht weiter.
Suchen Sie nach Einkäufern, auf deren Kalendern Sie bis jetzt noch nie aufgeschienen sind. Nach siegreichen Skifahrern, prominenten Firmenbesitzern, Rechtsanwälten, Bankmanagern, Parteigrößen, Einflussreichen eben. Die haben sich allerdings entweder schon verabschiedet oder sie sitzen unbemerkt in einem abgeschirmten Nebenzimmer, wo sie ihre gemeinsamen Geschäfte pflegen oder andere davon abhalten.
In manchen Nischen nuckeln Menschen unbeachtet an einem Glas Wein. Lassen Sie die. Denen geht es wie Ihnen.
Auch die kleinen lautstarken Runden, in denen der alte ungustiöse Branchentratsch wieder neu aufgewärmt wird, wo die Stars der seichten Unterhaltung ihre Glanzlichter zeigen, auch die können Sie vergessen.
Die Räumlichkeiten leeren sich langsam.
Kurz vor der Garderobe aber stoßen Sie auf den unauffälligen Mann oder die dezent gekleidete Dame, der/die während des ganzen Tages aufmerksam Notizen gemacht, in der Pause offenbar mit der Firma telefoniert und bei seinen/ihren Wortmeldungen erstaunlich geerdet geklungen hat. Anscheinend haben Sie einen ähnlichen Eindruck gemacht, weil ohne viel Mühe ein konstruktives Gespräch zustande kommt. Jetzt wird der Tag doch noch richtig interessant. Es verwundert Sie auch nicht, dass ein konkreter Termin für in 2 Wochen vereinbart wird, zu dem jeder seine Gedanken für eine schnell gefundene Gemeinsamkeit mitbringen soll.
Es war die einzige Visitenkarte, die Sie heute losgeworden sind.
Aber Sie sind ja doch noch – wie es so scheußlich heißt – „am Ende des Tages“ vernetzt.
Gut so!
P.S. Die Begabten, die ohne viel Aufhebens die menschliche Verbindung herstellen konnten, die gab es immer. Schon bevor die angeordnete Vernetzung erfunden wurde. Pflegen Sie einfach Ihre Kotaktfreude. Am Bahnsteig oder auf der Polizeidienststelle. Sie wird Ihnen immer helfen.
©walterkrammer(wct)