Nr. 68 – Wohnen im Ersten mit der Ruhe von Rodaun

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Handelsagenten Spotlight

 

Sie ist mir schon abgegangen, die emotionsgeladene Debatte um die revolutionäre Verkehrsreform in der Wiener Innenstadt. Unvermutet setzt sie sich wieder in Szene. Magistratabteilungen, die Stadträtin, die ortsansässige Wirtschaft, der Bezirksvorsteher, die Wiener Wirtschaftskammer, Autofahrerklubs, grüne Schützer des Planeten, Fahrrad- und Triton- Fans, versprengte Fußgehervertreter tummeln sich verbal im Gefecht (die vielen allenfalls Nichterwähnten bitte ich um Entschuldigung). Vermutlich geht es um die Quadratur des Kreises, das Erjagen einer Chimäre. Aber gerade deshalb mit höchstem Einsatz.

Viele Großstädte leiden heute darunter, dass ihre Zentren bei der Gründung und der nachfolgenden Entwicklung den Anforderungen der jeweiligen Zeit und natürlich nicht vorausschauend jenen des 21. Jhdt. angepasst wurden. Die Menschen hätten mit einer Stadt, wie wir sie heute fordern, gar nichts anfangen können. Im Laufe der Zeit wurden die baulichen Prunkstücke so gut wie möglich erhalten bzw. ergänzt, der Rest wurde niedergerissen und der Nutzungsidee bzw. dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechend ersetzt. Und das nicht nur einmal in einer wechselvollen Geschichte.

Die Zentren erzählen von einer großartigen Historie des Orts und Touristen sind erfreut über den gebotenen Einblick, wie eine Stadt in den vergangenen Jahrhunderten ausgesehen und funktioniert hat. In Wien stellte, als die Stadt aus allen Nähten platzte, das Schleifen der Stadtmauern und der Bau der Ringstraße mitsamt den damit entstehenden Gebäuden in der 2. Hälfte des 19. Jhdt. den umfassendsten Eingriff dar.

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Spätestens seit den 70er-Jahren ist die zeitgemäße Nutzung der Innenstadt ein heiß debattiertes Thema

Auf den 3 Quadratkilometern des 1. Bezirks wohnen heute rd. 16.000 Menschen, davon 25% älter als 65, und arbeiten 123. 000 Beschäftigte bei 12.000 Unternehmen und den Zentralstellen der öffentlichen Hand (Quelle Internet und WKW). Starke Schwerpunkte bilden Handel, Gastronomie und touristische Unternehmen. Im ersten Bezirk waren im Jahr 2019 16.000 KFZ angemeldet.Derzeit fahren täglich etwa 50.000 KFZ in das Gebiet innerhalb der Ringstraße ein. Für Pkws der Einwohner und Besucher stehen insg. 15.000 Parkmöglichkeiten (Stellplätze an der Oberfläche und Garagenplätze) zur Verfügung. Man muss kein Rechengenie sein, um festzustellen, dass das alles eine unangenehme Beengtheit erzeugt.Unterschiedliche Interessen der verschiedenen Nutzer.Die Bewohner der Innenstadt fühlen sich in ihrer Rolle als Besitzer des Zentrums eingeschränkt. Durch zu viele Besucher, zu viele Touristen, zu viel Gewusel, zu viele Behinderungen durch fremde Menschen, die Lärm und Reibungsflächen aller Art in „die Stadt“ bringen. Das alles hindert sie die ehrwürdige Innenstadt gebührend zu genießen. Als besondere Belastung wirkt sich der unglaubliche Autoverkehr in den engen Gassen aus und der Kampf um die Parkplätze.Was sie und allenfalls ihr Bezirksvorsteher Figl übersehen, ist: Der Bezirk gehört – wie auch andere Bezirke – nicht den Bewohnern. Beste, würdevolle Adresse und engste Beziehung zur interessanten Stadtmitte und zugleich die Ruhe einer Wienerwaldidylle, ist nicht zu haben.Die Wirtschaftstreibenden, die keineswegs eine homogene Einheit darstellen, suchen je nach Branche und Niveau, die gehobene Klientel (das müssten dann gar nicht so viele sein) oder Schwärme von Kleinumsatzkunden.
Gegensätzlicher geht’s nicht.
Das gilt für den Handel, die Gastronomie und Unterkunftgeber. Sie alle können auf Dauer nicht existieren, wenn individuelle Mobilitätsmöglichkeiten und die Massentransporteure wie U-Bahn und öffentliche Innenstadtbusse fehlen oder ungenügend vorhanden sind.Unbeliebt, aber ebenso unersetzlich sind alle Verkehrsmittel, die die 1-Tages-Touristen ins Zentrum karren (denn wegen dessen Attraktivität sind Massentouristen ja nach „lovely Vienna“ gekommen.)Einen gern übersehenen, aber keineswegs kleinen Faktor bilden die „Eindringlinge“, die samt ihren Gerätschaften auf diesem kleinen Flecken alles erledigen, was nach Wartung, Instandhaltung, Reparatur, Neubau und Neuanschaffung aussieht.

Nicht zuletzt soll noch der Bereich jener hervorgehoben werden, die in ihrer B2B-Funktion (wie z.B. die Handelsagenten, Zulieferer, Makler, Berater aller Art, IT-Fachleute etc.) oftmals wie Private wirken, aber durch ihre Dienstleistungen für die Funktionsfähigkeit der 12.000 Unternehmen unentbehrlich sind.

Lesen Sie Spotlight-Ausgabe Nr. 17 im April 2021
Schon wieder – „Autofreie Innenstadt“

Jetzt wird Radikallösung angepeilt
Ist im ersten Anlauf eine von der Stadtverwaltung ins Auge gefasste „Lösung“ für die Innenstadt am Widerspruch des Bezirks gescheitert, plant die zuständige Stadträtin nun der Einfachheit halber die Innenstadt deren Bewohnern zu überlassen, allerdings verbunden mit einer 4-stelligen Reduzierung der Oberflächenparkplätze, weil an deren Stelle Bäumchen gepflanzt werden sollen. Die Bezirksvertreter aller Couleur haben freudig zugestimmt (DIE PRESSE 14.10.2022).
Als ebenso erfreut wird die Chefin des Verkehrsministeriums in den Medien zitiert, wenn es darum geht die österreichische Straßenverkehrsordnung zu ändern, damit mittels eines Kameraüberwachungssystems nicht privilegierte Straßenbenützer der Innenstadtverkehrsflächen in die zahlenmäßig völlig ungenügend vorhandenen Parkgaragen gezwungen werden können.

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Gegenkonzept der Wiener Wirtschaftskammer: Masterplan Innere Stadt
Den Bezirksegoismen des 1. Bezirks setzt die WKW einen Masterplan entgegen, der danach trachtet, die Bedürfnisse auch anderer Straßenbenützer und der Tourismuswirtschaft (an der die Stadt größtes Interesse hat) zu berücksichtigenDazu erläutert der Präsident der Wiener Wirtschaftskammer Walter Ruck:„Die Wiener Innenstadt muss umfassend betrachtet werden. Sie hat große Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung unserer Stadt. Mit dem Masterplan Innere Stadt liegt nun erstmalig ein Nutzungskonzept für die City vor. Damit schaffen wir Win-Win-Situationen. Es profitieren die Bewohner, die ansässigen Unternehmen aber auch unsere nationalen und internationalen Gäste.“

Abschließend ist zu vermerken, dass die Änderung der StVo in die angedachte Richtung in ganz Österreich manche nicht beabsichtigte Veränderung nach sich ziehen würde.

©walterkrammer(wct)

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1 Kommentar. Leave new

  • René Stary
    22. Oktober 2022 3:16

    Salve
    Als Handelsagent fühlt man sich „gepflanzt“, und nein, ich meine damit nicht daß man als Handelsagent Bäume aufstellt. Wenn plötzlich alle Vertreter der Baumschulen, der Klimafreunde, inkl. Notwendige Stadtvertreter (aller Couleur) den ersten Bezirk in einen Garten verwandeln wollen. Die Frage ist nur, wenn der Garten vorhanden ist, wer beliefert die Leute, die dort wohnen? Und die Geschäfte? Ein Lieferbus? Nur wie soll das Geschäft an den Artikel kommen? Durch das Internet kommt sicher als Antwort…. Nun, nicht jeder Artikel steht im Internet und mancher ist auch erklärungsbedürftig, wofür es uns Handelsagenten gibt.
    Möchte die Stadt Wien und all die Klimafreunde wirklich, daß Geschäfte Ihre Waren nicht mehr anbieten? Vom Tourismus gar nicht zu reden?
    Ist ein leerer 1. Bezirk wirklich wichtiger als ein Miteinander? Wer weiß, vielleicht pflanzen wir dann in 10 Jahren Geschäfte…. In der Hoffnung das sie wachsen??

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