Nr. 86 – 32 Stunden und die Folgen (Arbeitszeitverkürzung)

wordcraft.at / Handelsagenten Spotlight

April  2023  

Immer wieder hat es Scherze darüber gegeben, dass gerade am Tag der Arbeit nicht gearbeitet werden soll (was ja nie durchgestanden werden konnte, weil auch am 1. Mai die Welt nicht stillsteht). Am Beginn des 1. Mai als feststehende Demonstration war vom Feiern allerdings noch wenig die Rede.
Tatsächlich stammen die Maikundgebungen aus den 1880er Jahren in Amerika, bei denen die Forderungen nach dem 8-Stundentag erhoben wurden, da 11 bis 13 Stunden täglich teilweise noch immer an der Tagesordnung waren. Der 1. Mai war der Tag, an dem in den USA üblicherweise Verträge geändert oder erneuert wurden und die Arbeiter wollten, dass mit diesem Tag der 8-Stundentag in die Arbeitsverträge aufgenommen werden sollte.Auf dem internationalen Gewerkschaftskongress 1889 in Paris entstand die Idee in ganz Europa in allen Städten am 1.Mai 1890 Kundgebungen mit der 8-Stunden-Forderung abzuhalten. Im Kaiserreich Deutschland gab es nicht zuletzt wegen dieser Forderung heiße Auseinandersetzungen, begleitet von Arbeitsniederlegungen und Aussperrungen. Etwa 100.000 Arbeitnehmer beteiligten sich dann tatsächlich am 1.5.1890 an Streiks, Demonstrationen und „Maispaziergängen“.In Österreich und Deutschland wurden die 8 Stunden pro Tag 1918 gesetzlich festgeschrieben
und zwar an 6 Tagen in der Woche. Danach vergingen noch einmal fast 70 Jahre, bis sich die 5 Tage-Woche mit 40 Stunden durchsetzte. Heute sind wir bei Gewerkschaftsforderungen hinsichtlich der 4 Tage-Woche angelangt, was nach Adam Riese 32 Wochenstunden ergeben würde, bei vollem Lohnausgleich. Es würde das 20% weniger Anwesenheitspflicht oder (weil mittlerweile auch schon das Homeoffice existiert) Arbeitspflicht ergeben und damit eine ebensolche automatische Lohnerhöhung.
Die elementare Frage in diesem Zusammenhang ist, was die Bemessungsgrundlage für das Arbeitsentgelt sein soll.Ist die Anwesenheitszeit des Mitarbeiters entscheidend oder ist es die erbrachte Leistung (der Output in der Zeiteinheit)?
Eine wichtige Frage, weil allenthalben die These aufgestellt wird, dass die höher motivierten Mitarbeiter auch in kürzerer Zeit ähnlich viel zustande bringen wie vorher in 40 Stunden. Das lässt den Schluss auf eine vorhandene Leistungsreserve zu. Auf wundersame Weise erledigt dann Herr XY in 32 Stunden ebensoviel wie vorher in 40 Stunden. Eine ähnliche Forderung zu stellen, würden Unternehmer nicht wagen.

Der Umstand, dass Jahr für Jahr die psychischen Erkrankungen und im Extrem die Burn-out- Fälle ansteigen, ist ja nicht gerade ein Argument dafür in Zukunft dasselbe Pensum in kürzerer Zeit erbringen zu lassen. Gerade die AK und die Gewerkschaften beklagen permanent den Arbeitsdruck.

Außerdem hängt es nicht nur vom Mitarbeiter ab, ob er seine Leistung in dem gewünschten Umfang steigern kann. Ein Verkäufer im Schuhgeschäft hat bei reduzierter Arbeitszeit um 8 Stunden weniger Chance einen Kunden zu bedienen, was für ihn auch Provisionseinbuße bedeuten kann.

 

Laufen Maschinen in der 32-Stunden-Woche um 25% schneller?

Rechnen Sie mit mir ein angenommenes Beispiel durch.
Die Besatzung einer Druckmaschine kann in 8 Stunden, einschließlich der erforderlichen Umrüstzeiten, 40.000 Bogen Papier bedrucken. In 40 Stunden sind das 200.000 Bogen.
Da die Maschine nicht um 25% schneller laufen kann – sonst würde sie es ja jetzt schon tun – werden in 32 Stunden nur 160.000 Bogen bedruckt und verkauft.
Wenn jetzt auch so mancher Leser mit dem Zuruf „Milchmädchenrechnung“ Einspruch erhebt, bleibt doch das Faktum bestehen, dass die Besatzung bei sorgsamer Beaufsichtigung der Maschine eine gute Leistung „entlocken“ kann, aber nicht plötzlich eine Steigerung um 1 Viertel

Was ist die Erkenntnis?

Ob in der Vergangenheit die österreichischen Mitarbeiter im öffentlichen und privaten Bereich in ausreichender Weise an den Vorteilen besserer Organisationsformen und technisch fortschreitender Produktionsmittel bzw. der Automatisierung beteiligt wurden, ist vermutlich ein Streitfall. In erster Linie ist das die Aufgabe einer funktionierenden Sozialpartnerschaft darauf zu achten.

Wenn die Auswirkungen der Arbeitszeitverkürzung von den Unternehmen nur durch gesteigerte Automatisierung, Digitalisierung oder durch KI-Einsatz wettgemacht werden können, dann kann es sein, dass die Gewerkschaften in bester Absicht einen „Zauberlehrling“ in Gang setzen, den niemand stoppen wird.

Es wird über kurz oder lang nicht nur das selbstfahrende Auto geben, sondern – wie vereinzelt heute schon – auch die „selbstfahrende“ Fabrik. Anfangs werden viele diese Entwicklung angesichts des Arbeitskräftemangels als nicht bedrohlich ansehen. Allerdings lohnt es sich darüber nachzudenken, dass eine solche Entwicklung zweifellos unumkehrbar ist.

Im Licht dieser Aussichten erscheint es auf lange Sicht nicht unwahrscheinlich, dass jene, die sich heute „nicht mehr über ihre bezahlte Tätigkeit definieren wollen“, über die Sozialzuwendungen des Staates werden definieren müssen. Es lohnt sich darüber nachzudenken, ob die Menschen die Bühne der Arbeitswelt freiwillig früher räumen sollen als notwendig.

© walterkrammer (wct)

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