Wird ein politisches Versprechen eingelöst, heißt es „warum erst jetzt?“, wenn nicht, „warum noch immer nicht?“ Schuld sind selbstverständlich die Politiker. Nach ihrem Abgang wird es jedoch auch nicht besser. Woran liegt es also? Ein paar Beispiele (ohne Rangordnung) sind schnell gefunden…
Warum ist es in 40 Jahren nicht gelungen den Autobahnring um Wien zu schließen?
Warum ist der Brenner-Basistunnel nicht wie geplant 2015 fertig gewesen? Die Prognose liegt jetzt bei 2032!
Warum liegt nach Jahrzehnten der Versprechungen unterschiedlicher Regierungen das österreichische Bildungssystem im Argen? Großspurig wurde immer von bester Qualität geträumt und mehr Geld ausgegeben als sonstwo in Europa. In internationalen Vergleichen hinken wir aber hinterher. Um über die Runden zu kommen, überlässt jetzt das Ministerium den Unterricht Menschen, die mit ihrer eigenen Ausbildung nicht fertig sind und Quereinsteigern, die in Schnellfeuerkursen schulfit gemacht werden müssen.
Wie kann es sein, dass wir von den steigenden Zahlen an Schülern und sinkenden Zahlen an Lehrern „überrascht“ werden konnten? Demographisches Material lässt ja eine entsprechende Prognose zu.
Warum gibt es in Europa nicht wenigstens 2 oder 3 transkontinentale Bahnverbindungen mit Hochgeschwindigkeitscharakter? (z.B. Stockholm – Palermo oder Istanbul – Amsterdam). Spätestens seit 1993 hätten diese Projekte Priorität haben müssen.
Nach jahrelangem Getöns über das Fahren mit Öffis oder großzügige Anreize, die den Verzicht auf das Auto fördern, werden Passagiere aus dem ÖBB-Zug gewiesen, weil sie im Gang stehen müssen. Der ÖBB-Sprecher informiert die staunende Öffentlichkeit darüber, dass es Strecken gebe, „da fahren zu viele Menschen mit der Bahn“
Warum braucht es den Ukrainekrieg, um den Deutschen und Österreichern klarzumachen, dass ihre Heere praktisch verteidigungsunfähig sind.
Wenn wir wissen, dass die jetzige Organisation der Altenbetreuung die Überalterung unserer Gesellschaft nicht bewältigen kann – wann beginnt endlich der Neuaufbau? Sich mit der Sterbehilfe anzufreunden wird ja wohl nicht die Lösung sein.
Es geht nicht allein um österreichische Baustellen.
Die sichtbar werdenden Defizite erstrecken sich quer durch Europa.
Alarmierend ist der Umstand, dass es sich um strukturelle Unzulänglichkeiten handelt und nicht jeweils vorrangig um das Unvermögen einzelner Personen, deren Austausch die Sache in Ordnung bringen müsste.
Pandemie oder die Ukraine sind außergewöhnliche Einflussgrößen. Sie kann man für grundsätzliche Mankos innerhalb westlicher Demokratien nicht verantwortlich machen.
Wir werden schlichtweg mit der Bewältigung von Zielkonflikten nicht fertig und sind uns der offensichtlichen Notwendigkeit nicht bewusst, das demokratische System vorsichtig, aber doch, geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen.
Brigitte Buschkötter / pixelio.de
Ziel muss es sein, auch unter sich ständig wandelnden Konditionen ein politisches und gesellschaftliches Kontinuum zu schaffen, das den Erwartungen an demokratische Rahmenbedingungen gerecht wird.
Die zügellose Hü-und-hott – Politik ist den herrschenden Anforderungen nicht mehr gewachsen. Verheerend ist es, wenn dezidierte und vom jeweiligen Parlament abgesegnete Langzeitprojekte nach dem Entstehen anderer parlamentarischer Mehrheiten gekübelt oder erfolgreich verzögert werden, ungeachtet aller Nebenfolgen und des Kapitalverlustes.
Auch wenn sich Mehrheiten schneller ändern als vor 70 Jahren, muss das System einer modernen Demokratie zum Nutzen der Bevölkerung tatsächlich funktionieren. Das Argument fortwährende, aber verzögernde Nachbesserungen böten die Chance z.B. technischen Fortschritt zu berücksichtigen, zählt nicht. Auf-die-lange-Bank-schieben kann man nicht als Fortschrittsförderung verkaufen. So betrachtet, würde Stillstand zur vorausschauendsten Politik mutieren.
Den Souverän kann man nicht aus der Verantwortung entlassen.
Die Akteure bestimmt und entlässt, jeweils durch Wahl, das Volk. Es selbst muss der stabile Faktor seines Landes sein. Das ist, soweit es uns betrifft, nicht möglich ohne die allgemeine Akzeptanz einer Basisvorstellung vom Leben in Österreich und ohne konsensuale Grundwerte.
Wir können nicht immer nur bewundernd nach Westen schauen, wenn’s um den eidgenössischen Wohlstand geht. Ein Nacheifern der grundsätzlichen Verfasstheit des Nachbarlands wäre eher am Platz.
So nebenbei: ich wünsche mir, dass die oft zitierte “Sau, die täglich durchs Dorf getrieben wird“ mangels interessierter Zuschauer endgültig der Vergangenheit angehört und einer souveränen, verantwortungsvollen Zukunftsgestaltung Platz macht.
©walterkrammer(wordcraft.at)
2 Kommentare. Leave new
Die These, dass wichtigen Entwicklungen, Erfindungen, Entdeckungen etc. Widerstände entgegengestanden sind und weiterhin entgegenstehen werden, kann ich gern unterschreiben.
Die Schlüsselfrage ist immer: hätte es in angemessener Zeit gelingen können, wenn man (allerdings Zwischenfrage: wer ist man?) die Weitsicht und den Willen gehabt und sich politisch und technisch ausreichend bemüht hätte.
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Ausgabe Nr. 38 Spotlight ( siehe Archiv Spotlight), die sich mit dieser Frage beschäftigt hat.
Danke für diesen wichtigen Beitrag! Ich bin ebenso der Meinung, dass es „das Ziel sein muss ein politisches Kontinuum zu schaffen, das den Erwartungen an demokratische Rahmenbedingungen gerecht wird”. Zumal ich allerdings meine, dass – um dies zu erreichen – vor allem Transparenz und Kommunikation dringend notwendig sind, die in weiterer Folge auch einen breiteren und vor allem seriösen Diskurs ermöglichen würden, der das Volk natürlich einschliesst, inklusive der ’strategisch‘ wichtigen Medien.
Die angeführten Beispiele spiegeln möglicherweise die Realität wieder, möglicherweise aber auch nur eine subjektive. Zu all diesen aufgezeigten Problemfeldern habe ich in der Vergangenheit seitens der Politik oft Begründungen für Massnahmen oder auch Nicht-Massnahmen vermisst, die vielleicht ein ‚Aha‘ Erlebnis bei mir ausgelöst hätten.
Kann es sein, das Hochgeschwindigkeitszüge vielleicht aufgrund des komplizierten europäischen Terrains, oder aufgrund zu vieler unvereinbarer nationaler Interessen bis heute nicht umgesetzt werden konnten?
Kann es sein, dass die ÖBB mit den attraktiven Ticketangeboten und der damit eihergehenden Überlastung der Züge einfach eine reale Testzeit (Proof of Concept) benötigt um abschätzen zu können, wieviel Investment wirklich in neue Zuggarnituren notwendig ist, im Sinne einer ‚ordentlichen Geschäftsführung‘?
Kann es sein, dass Aufrüstung in Europa deswegen erst jetzt ein Thema ist, weil die amerikanische Rüstungsindustrie gekonnt die Ukrainekrise als Zugpferd für neue und hohe Rüstungsinvestitionen propagiert, um den seit 10 Jahren schwächelnden Dollar zu stärken?
So oder so, all dies ist Spekulation solange wir die Hintergründe nicht kennen. Robert Habeck, Wirtschaftsminister der Grünen in Deutschland, mag ein guter Politiker sein oder auch nicht. Was er jedenfalls tut, und wo sich unsere Politik etwas abschauen könnte, ist die Transparenz die er in seinem Ressort an den Tag legt. Regelmässig informiert er das deutsche Volk über den Status der Energiesituation in Deutschland, die Situation der Gaslieferungen Russlands, liefert Hintergrundinformationen (im alltagstauglichen Format) und spricht Probleme aber auch Potentiale konkret und ohne Scheuklappen an.
Kann es sein, dass diese Art der Kommunikation helfen würde, manche Fragestellungen in diesem Blog erst gar nicht aufkommen zu lassen? Kann es sein, dass sich die Diskussion auf eine andere Ebene verlagern würde, auf eine sachliche ja sogar kreative, die uns wirklich weiterbringt anstatt nur im Kreis zu drehen und Politikverdrossenheit zur Folge hat?
Kann es sein, dass hier der Ball bei der Politik liegt, das zu ändern?
Nein nicht nur, es ist unsere Aufgabe als Bürger dieses Landes, all diese Details zu hinterfragen und die Politik aufzufordern, transparent und offen zu kommunizieren, als uns auf eine Insel der Seeligen verbannen zu lassen.
Felix, qui potuit rerum cognoscere causas! (Vergil)