„Sagt Ihnen Sanna Marin etwas? ……Finnland!“ „……Oh, ist das die mit der Party?“ „Genau!“
Vor der Veröffentlichung eines nicht einmal gewagten Videos, war sie eine attraktive Frau von 36 Jahren, die finnische Wähler in ein öffentliches Spitzenamt gehievt hatten. Die Geschwindigkeit, mit der sie politisch auf die russische Bedrohung reagiert hat, war bestechend. Ein herumgezeigtes privates Video war vielleicht sexy, aber nicht anstößig.
Dürfte eine unbekannte junge Frau sich auf einer privaten Party in dieser Weise zeigen, ohne ihren guten Ruf zu gefährden? Die allgemeine Auffassung wird das wahrscheinlich bejahen oder man zuckt die Achseln. Skandal ist es jedenfalls keiner.
Darf ein Premier sich auf einer privaten Party so zeigen, ohne seine Tauglichkeit für das Amt in Frage zu stellen? Offenbar nicht, zumindest nicht nach der Gerichtsbarkeit sozialer Medien.
Frauenrechtlerinnen werden zur Auffassung gelangen, dass das Geschlecht in diesem Fall die Ursache der Anfeindungen ist. So kann man es sehen, aber es ist zu kurz gegriffen.
Eine(r) von uns?
Die Demokratie, zumindest die, die meine Generation und die Gemeinschaft der nach uns Kommenden gelernt hat (wollen wir sie als westliche Demokratie bezeichnen), beruht auf der Beteiligung der Bevölkerung, was die öffentlichen Entscheidungsprozesse betrifft. Das geht nicht ohne Repräsentanten ab, weil eine funktionierende Basisdemokratie spätestens bei der Größe einer kleinen Stadt ihre Grenzen hätte.
Die Repräsentanten auf den verschiedenen Ebenen (Bund, Land, Gemeinde) werden aus der Masse der Bevölkerung in freien und geheimen Wahlen ermittelt. Grosso modo ist zu vermuten, dass sie so sind wie es dem Durchschnitt des Wahlvolks entspricht. Jene, die die Kandidaten aussuchen, die wir dann wählen dürfen – ja klar, auch die sind so wie wir. Auch sie kommen aus den Reihen des Volks. Wie es die demokratischen Regeln vorsehen.
Jetzt einmal ganz ehrlich
Sind wir Wahlberechtigten fehlerlos? Geben wir manchmal lieber unseren Gefühlen nach als unserem Verstand? Spielt bei unseren Entscheidungen der Egoismus wirklich keine Rolle? Sind wir empathisch und schauen wir immer auf das große Ganze? Nie neidisch, nie missgünstig? Sind wir in jeder Situation ausnahmslos anständig? Sind wir nie auf das Verzeihen anderer angewiesen. Dauert es lang bis bei uns nach dem ICH auch einmal das DU kommt? Haben wir Verständnis für die Schwächen, die in unterschiedlicher Verteilung in unserer Gesellschaft existieren?
Wir wissen es ja: unsere Ansprüche an Politiker sind tendenziell hoch, aber wir wählen keine Übermenschen (weil es die nicht gibt). Wenn wir über einen Politiker sagen, er sei ein Mensch, wie Du und ich. Ist das eine Entschuldigung oder eine Mindestforderung?
Welche geheimnisvolle Wandlung geht vermutlich in dem zukünftigen Amtsträger am Tage seiner Angelobung vor?
Verändert sich Mann oder Frau vom „Menschen, wie Du und ich“ automatisch zur Inkarnation des Unfehlbaren, wie es nach der Amtsübernahme wie selbstverständlich von uns gefordert wird?
Geschätzte Leserin, lieber Leser, ich fürchte ich muss sie enttäuschen.
Er/sie bleibt in Wesen und Charakter unverändert. Es fliegen ihm auch keine zusätzlichen kognitiven Fähigkeiten zu. Muss auch nicht sein. Wir haben ja den gewählt, den wir zu kennen glaubten. Oder wir haben es möglicherweise schon bei der Wahl für belanglos gehalten.
Die allermeisten Gewählten werden nicht zum weißen Ritter, der uns alle ins Happyend führt, aber auch nicht zum gewissenlosen Schurken. Ihr Vorsatz ist es die Sache gut zu machen. Wenn manche besonders erfolgreich sind, dann haben wir Glück und eben einen positiven Ausreißer in der Statistik erwischt.
Was uns aber dennoch niemand abnehmen kann, ist die culpa in eligendo. Unsere Verantwortung dafür, wen wir gewählt haben. Unsere Wahl bestimmt mit Mehrheit die politischen Akteure.
Berufspolitiker ist kein Alltagsjob
Die Spitzenleute der Politik klagen über Morddrohungen, Terror gegen die Familie, schrankenloses Schnüffeln im Privatleben, öffentliche Vorverurteilungen, Hauen und Stechen unter der Gürtellinie. Es herrscht aber die weitverbreitete Ansicht, dies wäre durch den Politikergehalt abgedeckt. Er/sie sei ja nicht in diesen Beruf hineingezwungen worden.
Das ist viel Zynismus gegenüber jemandem, den wir mit einem Amt b e t r a u t haben. Darin steckt das Wort „Vertrauen“. Es gab Zeiten, da dieses Wort noch keine Einbahnstraße war. Vielleicht würden wir bei mehr Nachdenklichkeit hinter dem Job den Menschen erkennen.
.Was sollte mit dem Video aus dem Privatleben der Frau Marin bewiesen werden? Ihre Untauglichkeit für das Amt oder eine unzulässige Verantwortungslosigkeit?
In Wirklichkeit ist es der Beweis für die Schäbigkeit und Gedankenlosigkeit derer, die es in die Öffentlichkeit gebracht haben.
Auf jeden Fall ist es kein Weg zu einer besseren Politik.
©walterkrammer(wct)
2 Kommentare. Leave new
Zunächst einmal die wichtigste Erkenntnis:
Sanna Marin ist ein Mensch.
Damit hat sie ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu uns anderen Menschen: nämlich keines!
Weiters, Sanna Marin geht einer erwerbsmässigen Arbeit nach, einer Arbeit die sie liebt, die sie erfüllt, und die sie bis jetzt professionell, fehlerlos und tadellos ausgeführt hat. Ihre Berufsbezeichnung ist ‘Politikerin’. Ach ja, und sie ist eine der jüngsten nebenbei.
Findige Geschäftsleute haben Diskotheken oder ‚Clubs‘ gebaut, um jenen Menschen die es wollen, die Lebenslust einzuhauchen die sie sich dabei erwarten.
Andere Geschäftsleute haben Opernhäuser und Museen errichtet, um jenen Menschen die es wollen, ebenfalls Lebenslust zu geben.
Nun frage ich mich:
Warum wird um exzessives Feiern eines Politikers (Menschen!) in einem Club soviel Wind gemacht, und warum nicht dann wenn ein anderer Politiker in einem Opernhaus gesehen wird?
Beide dieser Politiker verwenden ein wahrscheinlich gleiches Maß ihrer Freizeit für die jeweiligen Aktivitäten, aber steht es uns zu, zu bewerten welche der Aktivitäten eine gute oder schlechte ist?
Sollten wir die jüngsten Videos nicht als Aufforderung sehen, das Leben so zu leben wie es eigentlich gedacht ist: nämlich Spass daran zu haben, es gibt nämlich nur ein einziges davon! Sanna Marin ist durch Ihre Authentizität damit eines mit Sicherheit gelungen: die durchaus berechtigten Sorgen der Menschen in aktuellen Zeiten zwar zu adressieren (durch ihre erfolgreiche politische Arbeit), gleichzeitig aber den Fokus auf das eigentliche Leben nicht zu vergessen, jener der eigentlich unser Dasein bestimmt, gerade in Zeiten wie diesen. Sanna Marin ist es jetzt, die uns neue Lebenslust zurückgibt, und das tut gut. Dass das mancher politische Mitbewerb nicht so sieht ist klar, zeugt aber nur von deren eigener Inkompetenz die Menschen zu erreichen.
Sanna Marin, long way, party hard!
Ja die Frage stellt sich:
Dürfen Politiker menscheln?
Ja sie dürfen. Ob eine Party dazu beiträgt? Kommt darauf an, was sich jeder Einzelne unter Feiern vorstellt.
Als Politiker muss ich damit rechnen, daß ein Bild/Video mich etwas verzerrter zeigt, als es in der Realität war.
Nun, Politiker werden fürstlich belohnt und meiner Meinung nach, muss man sich in dem kurzen Zeitraum so benehmen, dass ein Bild/Video nichts in Frage stellt, was mich ins Wanken bringen könnte.
Anderenfalls bin ich nicht für diesen Job geeignet und verdiene nicht diese monatlich hohe Entlohnung.
Für das Sprungbrett nachfolgend in einen gut dotierten Job muss man halt ein wenig Opfer bringen.
Opfer bringen muss der Steuerzahler fast täglich.
Für mich: Null Toleranz